Freitag, 11. Dezember 2015

Schwarze Gedanken


Schon seit Stunden läuft er planlos durch die Straßen. Alter komm doch mal zur Ruhe. Ja, lauf doch doch einfach weiter. Was geht in dem vor? Vielleicht da vorn in das Einkaufszentrum. Dürfte er ja schon eine Weile nicht mehr gesehen haben. Noch ein Stück, da kommen die Hinweisschilder, na geht doch. Endlich was zu Essen, da wird er sich ja wohl mal hinsetzen. „Kann mal einer übernehmen? Ich gehe dann von der anderen Seite hinein und nehme ihn von vorne.“
Na bitte. Nur keine Eile der kommt hier nicht weg. Da ist er ja schon wieder. Was sucht er denn jetzt wieder?
„Könnte sein, dass er wartet, sieht jedenfalls so aus.“ Schau mal an, da kommt eine Frau. Die ist aber nicht mehr die Jüngste.
„Kontakt! Zu einer alten Frau. Schätze so um die achtzig Jahre. Weiß jemand etwas von der Mutter?“

Natürlich weiß wieder keiner etwas. Tja, auch so einer hat eine Mutter. Ich weiß nicht, ob ich mich mit meinem Sohn noch treffen würde. Wie lange war er drinnen? Fünfundzwanzig Jahre? „Sie haben sich hingesetzt. Da vorne unter der Reklame beim Vietnamesen! Ich sehe sie.“ Was die jetzt wohl bereden? Oha, da vorne gibt es eine Curry. Essen! Wurde ja auch Zeit. Habe ich Nachrichten bekommen? Tina? Heute Abend treffen? Klingt gut! Ein wenig vögeln, ein zwei Wein und ab in die Kiste. „Nein, sie sitzen immer noch da!“

Was denkt der sich denn, dass ich blind bin? Wichtigtuer. Werde ihm schon sagen, wenn es weiter geht. Ob ich auch wirklich komme? Ja klar komme ich. Sie hat ein Bild geschickt? Geile Titten, oh ja Babe, ich werde heute Abend kommen, und wie ich kommen werde. Sollen mal die anderen ran. Ich spaziere hinter her. Jetzt läuft der schon wieder immer weiter. Immerhin in Richtung See. Ob da jetzt schon Kinder sind? Da ist ein Spielplatz. Na mal sehen, was er jetzt macht.

Komm mein Freund, setze Dich auf die Bank. Made my Day! Sind Dir wahrscheinlich schon zu alt? Können schon laufen. Waren ja Säuglinge, die er sich gegriffen hat. Einfach so raus aus dem Kinderwagen, an den Füßen gepackt und mit dem Kopf gegen die Wand gedroschen.

Das der noch am Leben ist. Ich hätte ihn umgebracht als Vater. Tja, und nun läuft er hier wie ein Kreisel in der Gegend herum. Ob ich Wein mitbringe? Roten oder Weißen? Egal? Typisch! Auf Roten vögelt es sich besser! Was soll das heißen, ich habe nur das eine im Kopf. Hallo es ist Frühling! Ich bin auch nur ein Mann. Hat der gerade nach dem Kinderwagen geschaut? Trau Dich! Er kommt zurück? „Ich stehe hier und warte auf ihn!“ Da ist er ja. „Er biegt jetzt in den Wald ein. Keiner hinter her ist sehr einsam hier. Reicht wenn ich da bin.“
So mein Freund, jetzt sind wir hier alleine. Nur Du und Ich.

Eigentlich wäre es doch ein Gefallen für die Menschheit. Ich sehe ihn nicht mehr, so einfach wäre das. Ich weiß auch nicht, mit einem Mal war er weg. Ob ich schon weiß, wann ich Feierabend habe? Keine Ahnung, so gegen 20:00 Uhr, ja ich mag Dich auch. Wirklich sehr einsam hier. Der ist plötzlich ausgetickt und hat mich angegriffen. Wer weiß schon, was so einer macht. Drei Säuglinge hat er so getötet. Was macht so einer hier draußen? 


Ja, mir reichen Nudeln mit Bolognese.

Es geschah in einem anderen Team


Schweigen im Raum. Einfach nur ein langes bedrückendes Schweigen. Keiner, der noch da ist, will jetzt gehen. Niemand war unmittelbar dabei. Eigentlich ist ja gar nichts Schlimmes passiert, wenn man nicht dabei war.
Trotzdem, hätte ja uns auch treffen können. War halt nicht unser Einsatz. Ändert das etwas? Es ist nicht irgendwo passiert, es ist einem von uns passiert. Ja, es war einer von der anderen Truppe, unwahrscheinlich, dass es einen von uns aus der zweiten Welle getroffen hätte.
War es nicht genauso unwahrscheinlich, dass die Kugel zwischen Visier und Helm in den Kopf eindringt? Er war nicht verheiratet? Schlimm, dann bekommt sie jetzt kein Geld, was ist mit dem Kind?
Morgens hingefahren zum Dienst, abends tot. So schnell kann es gehen. Kurzer Blick in die Runde. Wahrscheinlich denken jetzt alle darüber nach, ob sie noch etwas offen haben. Was wollte ich schon immer einmal tun? Was bleibt denn übrig? Nicht viel. In zehn Jahren haben sie Dich vergessen. Ja, stimmt da war mal etwas. Nein, ich habe den nicht mehr gekannt. Ist ja auch schon lange her. Dann wird die Stille unterbrochen.
Ein Knacken aus dem Lautsprecher. Eine lange Pause. Eine Durchsage an alle, die noch im Haus sind. Er hat es nicht geschafft, vor wenigen Minuten wurden die Geräte ausgeschaltet.
Plötzlich steht einer auf. Ich halte das nicht mehr aus, ich gehe jetzt nach Hause. Die Stühle scharren geräuschvoll über den Boden. Es klingt wie früher, wenn der Unterricht in der Schule vorbei war. Einen Augenblick bleibe ich noch sitzen. Starre auf die Wand vor mir. Dann nehme ich meine Waffe und schließe sie weg. 


Nachdenklich gehe ich zum Auto.